Meine Begegnung mit Dietel

11.01.2022 | 11:08 von Bernd Glier

Ich traf Karl Clauss Dietel ein letztes Mal. Anfang Oktober 2021 in seinem Atelier in der Nähe des Chemnitzer Zeisigwaldes, nachdem ich zuvor die Ausstellung über sein Schaffen als Formgestalter in den Kunstsammlungen Chemnitz angesehen hatte, denen er zuvor seinen ganzen gestalterischen Nachlass übertragen hatte. Spontan beschloss ich also ihn aufzusuchen, um diese schöne Gelegenheit einfach wahrzunehmen und über die persönliche Begegnung, einem entscheidenden Teil formgestalterischer Vergangenheit in der DDR, meine aufrichtige Referenz zu erweisen.

 

Meine Bekanntschaft mit Dietel war beiläufig. Die Namen „Dietel-Rudolf“ hörte ich wohl als junger Student mit Beginn meines Studiums an der Kunsthochschule Berlin 1979 zum ersten Mal, ein Pseudonym für erfolgversprechendes selbstständiges Arbeiten als Formgestalter. Als ich dann 1984 über die simultane Bearbeitung von Bildinhalten auf großflächigen Bildschirmen in meiner Diplomarbeit schrieb, war es mir ein Jahr später vergönnt, beide Formgestalter persönlich kennenzulernen.

 

Im Sommer 1985 fand ein Entwurfsseminar zur Berliner Friedrichstraße am Bauhaus Dessau statt. Das Besondere zu diesem Zeitpunkt: Gestalter aus BRD und DDR arbeiteten eine Woche „ganz normal“ zusammen. Das Duo Dietel-Rudolf kam etwas später hinzu. Ich glaube, es war die praktikable Art der beiden, das Theoretisieren mit handwerklicher Entwurfs- und Modellbauarbeit aufzufrischen. In jedem Fall brachte es der ganzen Atmosphäre des Seminars mehr Lockerheit. Klotzen und Lachen „hüben wie trüben“, das war eine direkte Erfahrung.

 

In seinem Atelier bei der letzten persönlichen Begegnung mit ihm stand der 2-Takt-Motor des S 50 wie eine sinnende Skulptur auf einer Stele zu meiner Linken und rechts die analoge Zeichenmaschine mit Parallelschwinge und Gegengewicht, doch wohl auch als Zeichen des Unterschieds zum reinen Künstler oder vielleicht auch hin zum innigen Verständnis des Ingenieurs. Beides konnte er in seinem ganzen Gestalterleben in seiner Person gut vereinen. In enger Zusammenarbeit mit Lutz Rudolf war es bestimmt auch eine sehr produktive Ergänzung, die man in vielen ihrer gemeinsamen Arbeiten heute so interpretieren möchte.

 

Ich glaube, was man bewundern kann ist, dass Karl Clauss Dietel als Gestalter sich theoretisch und praktisch den Tatsachen stellte und nicht den Wünschen anderer hinterher rannte. Das konnte er sehr gut als Formgestalter und auch als Funktionär seiner Zunft. Die sozialistische Wirtschaft war immer eine Spar- und Mangelwirtschaft per se, das wussten wir alle, aber das war eben auch die kreative Herausforderung an sich. Dietel ging es um eine Ästhetik der Funktion, des Wesentlichen, ein Weniger an Verkleidung, ein Mehr an Langlebigkeit, die Einbeziehung natürlicher Abnutzung und das lange Wiederbenutzen in einem offenen Prinzip des Hinzufügens und Veränderns. Letztlich eben genau das, was wir in Zukunft brauchen.

 

Bernd Glier im Januar 2022

 

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